Das Bild gärtnern
Gedanken sind immateriell, aber sie lassen in der Regel Rückschlüsse auf die geistig-psychologische Prägung des Verfassers zu. Für die Musik gilt das auch, aber sie geht zusätzlich noch durch ein Instrument und seien es die Stimmbänder und ein gesungener Ton A klingt ganz anderes als auf der Flöte oder dem Klavier intoniert. Das sind 440 Hz, aber da schwingt noch anderes mit. Die Malerei fußt ganz und gar in der Materie, Pigmente und Bindemittel auf Papier, Nessel, Sackleinen, zerkratzt, geflämmt, zerschnitten, da muss der Geist seinen Platz schon behaupten.
Meine Farbe ist angerührt, ein Potpourri von Gesteinsmehlen, Torfpulver, Kreiden, Oxyden und als Zugabe jene Stoffe, die aus dem Spektrum des Lichts einen ganz isolierten Bereich herausfiltern können, Pigmente; Pariserblau, Indischgelb, Englischrot. Sie kommen von entfernten Orten. Natürlich sind auch Bücher abgeschrieben und von A nach B geschickt worden, die Gitarre trat ihren Siegeszug vom Mittelmeer aus an, aber Ultramarin – jenseits des Meeres, dieser zermahlene Edelstein kam aus Afghanistan. Der Lapislazuli wurde von Karawanen nach Macao gebracht, von wo portugiesische Karavellen ihn um das Horn von Afrika herum nach Europa schifften. Der Preis war enorm. Es gibt noch handschriftliche Rechnungen von Albrecht Dürer, in denen er das im Bild verwendete Ultramarin nach Gramm abrechnet. Es gab kein anderes blaues Pigment und Blau ist unverzichtbar gewesen: Es ist die Farbe von Marias Mantel.
Ich habe meine Pigmente also mit Respekt und verdünntem Acrylat angeteigt, man kann auch Kasein und Gummi, Harz, Öl, Ei, Kleister nehmen und sie auf das Bild aufgebracht. Auf eine mit dem Schwamm angefeuchtete Leinwand, um ein vorzeitiges Antrocknen zu verhindern. Die Farbe ist so komponiert, dass sie mit Sickern und Rinnen auf das Wassers reagiert, sie ästet aus, wächst zu moosigen Placken, metrischen Profilen, Schrunden, Kanäle, amphibische Felder, die Haut des Bildes ist wie die eines Dickhäuters, ein schrumpeliger Elefantenhintern. Sehr taktil, man möchte sie streicheln.
Pigmente
Die molekulare Dichte von Pigmenten ist unterschiedlich, das heißt in der Praxis, sie trocknen unterschiedlich lang. Die nicht getrockneten Partien die Tore in die Tiefe des Bildes. Das Bild wächst sowohl in die Höhe wie auch in die Tiefe und die Farbe ist Humus und Pflanze in einem und ich gieße sie ständig, besprühe sie mit Wasser, damit sie wachsen kann Feuchtigkeit trocknet, also spielt Zeit bei meinem Malen eine eminente Rolle. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sprühe ich noch nicht abgebundene der Malerei vom Bild, das ist ein Zurückschneiden von Unnötigem, das dem Rest wieder Platz und Licht gibt. Ich kenne in etwa den Zeitpunkt, das habe ich gelernt, auch das Warten, bis es endlich soweit ist, aber was da dann widersteht und was fortgewaschen wird, das bleibt immer eine Überraschung: ich stehe vor einem ganz neuen Etwas. Das muss mir nicht immer gefallen. Aber es bringt eine Dimension ins Spiel, die nicht von mir erdacht ist, das öffnet mir das enge Denken. Ansetzen, Wässern, Stutzen, mein Malen ist ein Gärtnern und mein Bild wächst aus sich heraus. Darauf ist Verlass, der Rest benötigt meine Aufmerksamkeit, mein Gespür, meine Kunst und meine Geduld